Die Öffentlichkeit hat ein hohes Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der „Pick-Up-Artist-Szene“. Persönlichkeitsrechte des Klägers, der durch einen Video-Clip und Coaching-Tätigkeit selbst als Mitglied dieser Szene an die Öffentlichkeit getreten ist, treten bei Abwägung aller betroffenen Interessen hinter die Meinungsfreiheit der Verfasser der zwei angegriffenen Berichte zurück. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat deshalb mit heute verkündetem Urteil Unterlassungsansprüche des Klägers gegen eine identifizierende Berichterstattung zurückgewiesen.
Der Kläger wendet sich gegen zwei Artikel, die in einer AStA-Zeitschrift einer Universität im Sommer 2015 veröffentlicht wurden. Unter den Titeln „´Pick-Up-Artists´ und Casanova – eine künstlerische Technik der Liebe?“ und „´Pick-Up-Artists´: Ein fragwürdiges Phänomen von ´Verführung´“ befassten sie sich mit der „Pick-Up-Artist-Szene“. Der Kläger begehrt von der beklagten Herausgeberin dieser Zeitung insbesondere, dass sie nicht mehr durch Angabe seines Namens, seines Studentenstatus sowie der Bezeichnung seiner Nebentätigkeit identifizierend über ihn berichtet.
Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte vor dem OLG Erfolg und führte zur Klageabweisung. Dem Kläger stünde kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu, urteilte das OLG.
Die Beklagte habe die bestimmten von Verfassern gekennzeichneten Artikel in ihrer Zeitung jedenfalls verbreitet und sei damit grundsätzlich für den Inhalt verantwortlich. Sie hafte jedoch nicht für die Verbreitung der Äußerungen, da die identifizierende Berichterstattung hier rechtmäßig gewesen sei.
Die Artikel griffen zwar in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ein und berührten ihn in seiner so genannten Sozialsphäre. Dieser Eingriff sei jedoch nicht rechtswidrig. Als Herausgeberin könne sich die Beklagte auf das den Autoren der veröffentlichten Artikel und den Lesern zustehende Grundrecht der Meinung- und Kommunikationsfreiheit berufen. Zu den Aufgaben der Beklagten gehöre auch die Förderung der politischen Bildung und der staatsbürgerlichen Verantwortung der Studierenden. Die streitgegenständliche Zeitung diene als Diskussionsforum.
Bei Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsfreiheit der Verfasser der Artikel überwiege die Meinungsfreiheit. Die Presse sei nach verfassungsrechtlicher Rechtsprechung zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung zu verweisen. Die Artikel knüpften zudem an wahre Tatsachen aus der Sozialsphäre des Klägers und eine Tätigkeit an, die der Kläger „in Coachings nebenberuflich lehrt(e) und selbst in der Öffentlichkeit betreibt“. Wahre Tatsachen müssten in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen seien. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege das Interesse des Klägers an Anonymität. „Es besteht zunächst ein hohes öffentliches Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen der „Pick-Up-Artist-Szene“. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sei es vermehrt zu übergriffigem Verhalten an der Universität gekommen. Dabei habe sich das öffentliche Interesse nicht nur auf die weiblichen Studierenden der Universität, sondern auf die gesamte Öffentlichkeit erstreckt.
Die Artikel befassten sich mit der Historie der Szene und setzten sich kritisch mit ihr auseinander. Es bestehe ein Interesse der Öffentlichkeit daran, zu erfahren, wie sich einzelne Vertreter dieser Szene in der Öffentlichkeit präsentieren. Naheliegend sei es deshalb, dass auch Vertreter der Szene – wie im Artikel geschehen – angeführt würden. Der Kläger gehöre zu der Szene, „denn er praktiziert „Pick-Up“ nicht nur selbst, sondern er lehrt(e) die Pick-Up-„Kunst“ im Nebenberuf in Coaching-Seminaren“ und hat sich selbst mit dem Thema im Frühjahr 2014 durch einen Fernsehbeitrag bewusst in die Öffentlichkeit begeben.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 04.02.2021, Az. 16 U 47/20
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 16.01.2020, Az. 2-03 O 513/18)
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision beim BGH begehrt werden.
Pressemitteilung des OLG Frankfurt am Main vom 4. Februar 2021