EuGH: Ein schlichter militärischer Lagebericht genießt nach Ansicht von Generalanwalt keinen Urheberrechtsschutz

Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar genießt ein schlichter militärischer Lagebericht keinen Urheberrechtsschutz

Erstens erfüllten solche Berichte nicht die Anforderungen an ein urheberrechtlich schutzfähiges Werk, und zweitens wäre ihr Schutz eine ungerechtfertigte Beschränkung der freien Meinungsäußerung

Die Bundesrepublik Deutschland lässt wöchentlich einen militärischen Lagebericht über die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Entwicklungen im Einsatzgebiet erstellen. Diese Berichte werden unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ (UdP) an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestags, an Referate im Bundesministerium der Verteidigung und in anderen Bundesministerien sowie an bestimmte dem Bundesministerium der Verteidigung nachgeordnete Dienststellen übersandt. Die UdP sind als Verschlusssachen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Daneben veröffentlicht die Bundesrepublik Deutschland gekürzte Fassungen der UdP als „Unterrichtung der Öffentlichkeit“.

Die deutsche Gesellschaft Funke Medien NRW betreibt das Internetportal der Tageszeitung Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Im September 2012 beantragte sie Zugang zu sämtlichen UdP der vergangenen elf Jahre. Ihr Antrag wurde abgelehnt, weil das Bekanntwerden einiger Informationen nachteilige Auswirkungen auf sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr haben könnte. Funke Medien gelangte jedoch auf unbekanntem Weg an einen Großteil der UdP und veröffentlichte einige von ihnen unter der Bezeichnung „Afghanistan-Papiere“.

Da die Bundesrepublik Deutschland die von dieser Veröffentlichung ausgehende Gefahr für die Sicherheit des Staates nicht für so groß hielt, dass sie eine Beeinträchtigung der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit rechtfertigt, sah sie von der Einleitung eines Strafverfahrens wegen der Verbreitung vertraulicher Informationen ab.

Sie war jedoch der Ansicht, Funke Medien habe ihr Urheberrecht an den Berichten verletzt, und nahm sie vor den deutschen Zivilgerichten auf Unterlassung in Anspruch. In diesem Kontext ersucht der Bundesgerichtshof den Gerichtshof um die Auslegung des Unionsrechts über den Urheberrechtsschutz¹ , insbesondere im Licht des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung² .

In seinen heutigen Schlussanträgen kommt Generalanwalt Maciej Szpunar zu dem Ergebnis, dass schlichte militärische Lageberichte wie die hier in Rede stehenden nicht in den Genuss des unionsrechtlich harmonisierten Urheberrechtsschutzes kommen können.

Der Generalanwalt äußert Zweifel daran, dass solche Berichte urheberrechtlich schutzfähige Werke darstellen. Es handele sich nämlich um reine Informationsdokumente, die in einer völlig neutralen und standardisierten Sprache abgefasst seien und genau über Ereignisse berichteten oder aber darüber informierten, dass kein erwähnenswertes Ereignis vorgefallen sei. Solche „rohen“, also als solche präsentierten Informationen seien vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen; das Urheberrecht schütze ausschließlich die Art, in der Ideen in einem Werk zum Ausdruck kämen. Ideen als solche (einschließlich „roher“ Informationen) dürften daher frei vervielfältigt und wiedergegeben werden.

Letztlich hätten die nationalen Gerichte zu würdigen, ob es sich im vorliegenden Fall um „Werke“ im Sinne des Urheberrechts handele. Da diese Tatsachenwürdigung noch nicht vorgenommen worden sei, hätten die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen hypothetischen Charakter und müssten für unzulässig erklärt werden.

Für den Fall, dass der Gerichtshof dem nicht folgen sollte, prüft der Generalanwalt, ob sich ein Mitgliedstaat auf sein Urheberrecht an Dokumenten wie den hier in Rede stehenden berufen kann, um die freie Meinungsäußerung zu beschränken. Er verneint dies.

Der Schutz der Vertraulichkeit bestimmter Informationen zur Wahrung der nationalen Sicherheit sei zwar ein legitimer Grund für die Beschränkung der freien Meinungsäußerung.

Im Ausgangsverfahren gehe es jedoch um den Schutz der in Rede stehenden Dokumente nicht als vertrauliche Informationen, sondern als Gegenstände des Urheberrechts.

Der Staat könne zwar über zivilrechtliches Eigentum einschließlich geistigen Eigentums verfügen, doch könne er sich nicht auf das Grundrecht am Eigentum berufen, um ein anderes Grundrecht wie die freie Meinungsäußerung zu beschränken. Er werde nämlich durch die Grundrechte nicht begünstigt, sondern verpflichtet.

Außerdem sei ein urheberrechtlicher Schutz militärischer Lageberichte nicht erforderlich.

Das einzige Ziel, das die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Klage verfolge, sei der Schutz der Vertraulichkeit bestimmter als sensibel eingestufter Informationen, die daher in der öffentlichen Fassung der militärischen Lageberichte nicht veröffentlicht worden seien. Dies habe aber überhaupt nichts mit den Zielen des Urheberrechts zu tun. Das Urheberrecht werde hier somit für die Verfolgung von Zielen instrumentalisiert, die ihm völlig fremd seien.

Die Beschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung, die sich aus dem Schutz der fraglichen Dokumente durch das Urheberrecht ergeben würde, sei zudem in einer demokratischen Gesellschaft nicht nur nicht erforderlich, sondern wäre für sie auch äußerst schädlich. Eine der wichtigsten Funktionen der freien Meinungsäußerung und ihres Bestandteils, der Freiheit der Medien, bestehe in der Kontrolle der Staatsgewalt durch die Bürger, die für jede demokratische Gesellschaft unerlässlich sei. Diese Kontrolle könne u. a. durch die Verbreitung bestimmter Informationen oder Dokumente ausgeübt werden, deren Inhalt oder Existenz (oder Nicht-Existenz) die Staatsgewalt verschleiern wolle. Manche Informationen müssten natürlich selbst in einer demokratischen Gesellschaft geheim bleiben, wenn ihre Verbreitung eine Bedrohung für die wesentlichen Interessen des Staates und infolgedessen für diese Gesellschaft selbst darstelle. Dann müssten sie nach den hierfür vorgesehenen, unter gerichtlicher Kontrolle angewandten Verfahren klassifiziert und geschützt werden. Außerhalb dieser Verfahren oder wenn der Staat selbst sie nicht anwende, könne ihm aber nicht gestattet werden, sich in Bezug auf beliebige Dokumente auf sein Urheberrecht zu berufen, um die Kontrolle seines Handelns zu verhindern.

¹ Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).
² Wie es die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet.

Link zu den Schlussanträgen des Generalanwalts: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=207024&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=2528417